Arconie
Eine Groteske
Bühne
Leer, bis auf drei Bohlen eines Schienenstrangs, einer offenen Schere,
die sich hinten in einem Blick auf die See schließt
-
Magda
im kurzen, roten Kleid
André
im hellen Sommeranzug
Der Chor
drei Männer in bunt gestreiften Kitteln
Alle
Kakophonisch
Noch in der Badewanne / Unter der Dusche / Vor der Haustür / Auf dem Weg zur Arbeit / An der Bushaltestelle / In der Mittagspause / Auf dem Weg nach Hause
Lokomotive!
Kein Wort kam über die Zunge
Sie hatten auf uns gewartet / Sie waren uniformiert / Sie trugen lange Mäntel / Pistolen in den Taschen / Schäferhunde / Handschellen
Sie hatten die Hüte tief in der Stirn, wir ihre Befehle in den Ohren
Und die Angst unter der Haut
Sie mit Waffen in Händen, Mündungen, kleine böse schwarze Löcher
Und wir immer noch ohne Worte/ Frauen weinten / Kinder verstummten
Offene Münder
Atem, Atem – wo bleibst du?
Lokomotive!
Erster Chorist
Die Kollegen sahen zu, wie ich verhaftet wurde
Die Nachbarn vor den Türen
Die zuckenden Schultern des Chefs
Zweiter Chorist
In unseren Augen die weiße Angst
Wir sagten kein Wort / Warum sagte ich kein Wort?
Meine Frau ließ mich nicht los / Meine Frau warf sich dazwischen / Mein Mann wurde zurück gestoßen / Gewehrkolben / Gewehrkolben
Auf der Ladefläche des Lasters: Eine Frau lief uns hinter her, fiel, stürzte auf das Pflaster unserer Straße
Dritter Chorist
Sie fuhren uns weg / Sie waren überall / Sie machten mit uns, was sie wollten / Und Witze wie diesen:
Kein Hahn wird nach euch krähen!
HAHAHAA!
Chor
Wir wussten nicht, wie uns geschah
Plötzlich waren wir nicht mehr da
Lokomotive!
Choristen nach hinten weg, kommen mit Klapptischen, Klappstühlen und einem Sonnenschirm zurück, klappen das Strandcafé auf
André setzt sich an einen Tisch, lässt eine Schiffsbuddel hin und her rollen
Flaschenpost! Fla/schen/post . . .
Magda
setzt sich an den Tisch nebenan
Wo haben Sie die denn gefunden?
André
Gefunden?
Gekauft, im Kiosk auf der Strandallee.
So was finden Sie heute nicht mehr.
Wirft ihr die Flasche zu
DA!
DIE CAP ARCONA!
Verflucht enger Hals, was?
Da musste alles durch:
Der Bug, die Aufbauten, die drei weiß-rote Schornsteine, die Reling mit den Rettungsbooten
Dahinter die Bullaugen!
Sehen Sie die Bullaugen?
Riskieren Sie ruhig einen Blick in die Luxuskabinen dieses ehemaligen Luxusliners
Des Flaggschiffs der Reichsdeutschen Seefahrt
Der Königin des Süd-Pazifik in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts: Hamburg/Rio de Janeiro und zurück!
Und alles maßstabsgerecht – nur den Rauch und die Flammen, die brachte er da nicht rein
Magda
wirft die Flasche zurück:
Wer?
André
wirft ihr die Flasche wieder zu
Woher soll ich das wissen?
Der Schiffsbuddelbastler!
Hin und her der Flasche, dahinter der Chor, mit Pilotenkappen und dicken schwarzen Brillen vor der Stirn:
Chor
Flugzeuglärm
Heute früh noch in den Spiegel gestarrt, Rasierschaum im Gesicht
Morgen, Übermorgen ist der Krieg aus, fliegen wir nach Haus
Zum Flugplatz / Propeller angeworfen / Ins Cockpit, Steuerknüppel . . .
Brillen vor die Augen!
TAGESBEFEHL, Sturzflug:
Brandbomben auf Einheiten der Reichsdeutschen Flotte in der Lübecker Bucht /
Die Flucht der Reichsregierung nach Norwegen verhindern
Today some huns /
Will find it / quiet cold down there /
Deep, deep in the Baltic See
Magda
Hunnen? Feinde?
Ja, Feinde der deutschen Feinde!
Verbündete warteten auf ihre Befreiung.
André
Sie wissen Bescheid?
Cap Arkona, untergegangen . . .
Magda
Falsch, nicht untergegangen!
Gekentert ist er, unser auf ein schwimmendes KZ-Lazarett herunter gekommener Luxusdampfer, gekentert nach der Bombardierung fünf Tage vor dem letzten Frieden.
Mit Kriegsgefangenen und . . .
André
Häftlingen aus dem KZ Neuengamme an Bord!
Sie hatten schon alles hinter sich: Die Todeslager, Die Todesmärsche April/Mai 1945
Magda
Fünfundvierzig! Mein Jahrgang, und Ihrer?
André
Einundvierzig!
Und so sinnlos, der Angriff der englischen Jagdbomber am dritten Mai. Als hätten diese Häftlinge nicht schon genug durchgemacht. Und waren doch immer wieder davon gekommen.
Magda
Was geht Sie das an!
Sind sie deswegen hier, als Kurgast der Arkona?
André
Warum so zynisch?
Magda
Bringt meine Arbeit so mit sich, bin Fremdenführerin.
Heute ist mein freier Tag.
Your day off, wie meine Engländer gestern noch sagten . . . sie mögen mich. Und ich führe sie unseren weißen Strand entlang, bis in die sanften Hügel der Holsteinischen Schweiz . . .
André
Da könnten Sie ja, ich meine . . . Da könnten sie mich vielleicht . . . ja auch mal . . . nicht?
Magda
Studieren hätte ich sollen, Geographie . . . oder Geschichte.
André
Habe ich:
Geschichte des 20. Jahrhunderts!
Magda
Diese Vergangenheit, sie lässt mich einfach nicht los.
Warum denn?
Immer wieder lasse ich mich von ihr verführen, verfolge ich Schicksale, Menschen . . .
André
Die auf der Cap Arkona!
Magda
Die nicht mehr, die habe ich . . . in mir
Aber Sie, was sind Sie denn? Von Beruf
André
Historiker! Und heiße André Herbst, wenn Sie gestatten
Magda
Angenehm, verstehe:
Menschheitsgeschichte, Kriege, Entwicklungen, Rückschläge, Zeugnisse von Siegern und Besiegten, Archive . . .
André
Die der Royal Air Force werden erst im Jahr 2042 öffnen.
Wer weiß, was bis dahin alles geschehen sein wird.
Auch mit so einem Archiv.
Reißwolf, sage ich nur . . .
Magda
Gut möglich!
Aber, bis dahin:
Was machen wir mit dem Fall der Cap Arkona . . . . friendly fire?
Erklären Sie mir das mal!
André
Schrecklich!
Magda
Historiker erschrecken nicht!
André
Ich schon!
Ich erschrecke immer noch, vor diesem einen Tag zum Beispiel: Dem 14. April 1945!
Ein Tag wie jeder andere.
Magda
Na ja, Buchenwald befreit!
André
Nicht nur, nicht nur!
Auch Himmlers Befehl, am selben Tag:
Kein Häftling darf lebend in die Hände der Feinde fallen!
Chor
KEIN HÄFTLING DARF LEBEND IN DIE HÄNDE DER FEINDE FALLEN!
Und Befehl war Befehl / Himmlers Befehl war Führers Befehl.
Himmlers Männer vernichteten, was zu vernichten war: Erst Menschen, dann Gaskammern, Krematorien, Galgen, Namen, Nummern, Akten, Listen . . . bis kein Benzin mehr da war! Was tun, wohin mit zigtausend noch nicht vernichteten Menschen im Lager Neuengamme? Ab auf die Cap Arkona, statt in die Scheunen. Aufs Wasser, statt ins Feuer! Raus auf hohe die See, auf Nimmer Wiedersehen.
TORPEDOS!
Cap Arkona klar zur Versenkung?
Magda
Klar ist heute nur eines:
Diese Toten, die kommen nicht zurück
Aus ihrem Gefängnis!
André
Gefängnis?
Seit wann ist der Tod nur ein Gefängnis?
Das ginge ja noch!
Magda
Sag ich ja!
Diese Toten wenigstens, die warten auf ihre Befreiung, immer noch!
Dort, wo man sie verscharrt oder begraben hat, wie hier in unserem Dorf an der See, auf auf seinem Waldfriedhof
Ich besuche sie übrigens, rufe sie an, vertröste sie
-
Sie glauben mir wohl nicht, was?
Wollten Sie nicht gerade eben noch von mir, ich meine . . . ich führe sie gern
Folgen Sie mir, Herr Herbst!
André
Mit dem größten Vergnügen!
Nur wem, wenn ich fragen darf.
Wem folge ich?
Magda
Magda!
Nennen Sie mich Magda.
Gehen wir!
Chor
Singt, während er ihr um das Strandcafé herum folgt
Er geht ihr auf den Leim
Das lässt er lieber sein
Sonst geht’s ihm an den Kragen
Das woll‘n wir schon mal sagen
André
bleibt stehen
Nein!
Das gibt’s ja nicht, der alte Kurpark!
Ganz wie damals, der Teich, die Fische
Magda
Sie kennen sich hier aus?
André
Und wie!
Ich bin hier wie zu Haus!
Ich kenne dies Dorf wie meine Hosentasche. Den Teich, wo wir als Kinder den Fischern zusahen: Wie sie den Teich trocken legten. Wie die Fische nach Luft schnappten! Und den Schlamm mit den Schwänzen peitschten! Und die rosigen Kiemen, wie sie flatterten. Bis die Fischer die Karpfen kurz hinter den Kiemen packten . . .
Und die Fische in hohem Bogen ans Ufer, in die Bottiche flogen
Magda
Ich höre sie, wie sie durch die Luft fliegen. Und gar nicht schreien . . .
Wie die Schweine frühmorgens im Winter, wenn man sie am Strick aus dem Koben zerrte und dann . . . das Messer, durch die Kehle . . .
André
Warum eigentlich, frage ich mich, sind wir uns nicht schon früher mal über den Weg gelaufen . . . als Kinder!
Magda und André, zwei Königskinder in einem Dorf an der See . . .
Chor
singt
Was macht er mit dem Knie, dieser Hans
Was macht sie mit dem Knie, diese Gans
BEIM TANZ!
Magda
Schwimmen Sie gern?
André
Ich angele lieber!
Magda
So einer sind Sie!
Ziehen so ein Unschuldswürmchen auf den Haken, reißen ihn in den Hals des Fisches. Lassen ihm etwas Leine, mit seinem Messer im Mund. Bis dieser Mund nur noch Messer, Rasiermesser ist! Und damit in die Tiefe flieht. Wo er Schutz sucht. Wo kein Schutz ist. Und dann reißen Sie ihn aus seinem Element, schleudern ihn in den Plastikeimer . . . zu den anderen armen Schluckern.
André
Schwimmen tun sie also auch nicht?
Magda
Doch!
André
DA!
SEHEN SIE HIER!
Hier ging ich zu Schule! Der rote Klinker, das Reetdach. Darunter lernte ich das Lesen und Schreiben – Rechnen nie! Und im Hof, da stand ich Schlange, vor der Gulaschkanone – und wurde abgespeist mit Erbsensuppe, Speckschwarten, mit schwarzen Borsten. Fettaugen im Blechnapf meines Vaters, dessen Krieg ich auslöffelte, den Vater aller Dinge
Choristen
aus der See zurück, mit braunen Flügeln an den Oberarmen rocken, singen:
Maikäfer siegt! Die Väter sind im Krieg
Die Mütter sind im Polenland
Polenland ist abgebrannt
André
sein Unterarm, ein Scheibenwischer vor ihrem Gesicht:
ABC-Schütze André unter diesem Schuldach, im Zeichenunterricht, soll den Himmel über der Lübecker Bucht malen. Ja, und dann ein Schiff, ein schönes, stolzes Schiff. Da warf der kleine Knirps, so aus dem Ellenbogen, seinen Himmel, in einem einzigen schwarzen Strich, auf das weiße Papier. Und kräuselte den aufsteigenden Rauch seines Dampfers darunter
Drückt ihr den Zeigefinger in den Rücken!
Sehen Sie, Magda!
Spüren Sie den Rohrstock meines Lehrers in Ihrem Rücken?
Stößt zu, mit Paukerstimme:
Himmel Herrgott:
Seit wann ist unsere Bucht denn eine Käseglocke, die zum Himmel stinkt?
Sie reißt sich los, er ihr hinter her nach hinten in die See, die drei Choristen ihnen entgegen, Ferngläser vor den Augen:
Chor
Wir stehen am Ufer, das Schiff liegt im Feuer auf der See / Menschen schreien, meilenweit / Wir stehen und schweigen / Mit uns die schwarzen Uniformen, die Totenköpfe: Himmler befahl, sie folgen!
Chor
dreht sich im Kreis
Kein Häftling darf lebend in die Hände des Feindes fallen!
KEIN HÄFTLING DARF LEBEND IN DIE HÄNDE DER FEINDE FALLEN!
TORPEDOS:
KLAR ZUM GEFECHT?
Erster Chorist
mit Totenkopfmütze auf dem Kopf
Und warum?
Setzt seine Mütze dem
Zweiten Choristen
auf den Kopf
Keine Arkona, keine KZ-Häftlinge, keine KZ-Zeugen
Keine Endlösung!
Setzt die Mütze dem
Dritten Choristen
auf den Kopf
Torpedo klar zum Gefecht:
Keine Ratte verlässt lebend das Schiff
Keine Ratte, kein Zeugnis
Nur noch Zukunft, Zukunft
Zeugenlose Zukunft
Chor
summt
FRIEDEN ‚ Frieden – wird es nun bald!
Magda, Zigarette im Mundwinkel, verscheucht die Choristen, faltet Andrés Hände vor ihrem Bauch und fragt ihn, über die Schulter:
Magda
PÜPPI?
Willst du die Englein im Himmel singen hören?
André
Fragst du mich?
Magda
Nein, der Maurergeselle Alfried, der fragte mich, die Nachkriegsgöre. Die auf Geheiß des feschen Kerls ihr Näschen in seinen Rücken drückt und ihre Händchen faltet vor seinem Bauch. Und ich jetzt, die ich die Engelein im Himmel singen hören sollte, die noch sagte:
‚Gibt’s ja, geht ja gar nicht!‘
André
Recht hast du gehabt!
Magda
So dachte sie auch, die kleine Nachkriegskröte!
Aber dann hörte ich sie . . . wirklich!
Wie sie sangen, Alfrieds Engelein.
Hörte sie so wie du jetzt, gleich:
Schließ mir beide Äug‘lein ZU!
Magdas Kippe zischt auf Andrés Handrücken, beider Aufschrei!
Beide nach hinten weg, ihnen entgegen die drei Choristen, klappen das Mobiliar des Strandcafés zusammen, werfen es auf einen Haufen zwischen die Bohlen
Magda kommt auf Stöckelschuhen und mit hell aufblinkenden, unten scharf zugespitzten Metallkreuzen in den Armen zurück und spickt den Boden mit ihnen.
Die Kreuze zittern nach:
Magda
DU, du hast im Steinbruch geschuftet
DU, in der Munitionsfabrik
DU, du hast im Bunker, in der Krankenbaracke gelegen
DU kamst an der Gaskammer vorbei
Und DU und DU und Du . . .
IHR HABT DEN TOD GELEBT!
Stößt mehrere Kreuze zugleich an, singt und tanzt dazwischen:
Frieden, Frieden ist es nun bald
Lasset uns tanzen, lasset uns singen!
Reißt ein Kreuz aus dem Boden, nimmt es in die Arme, wiegt, küsst es!
Nichts war vorbei, am Dritten Mai!
Schmeißt das Kreuz auf den Boden!
Leben vorbei, am Nachmittag des Dritten Mai
Trampelt drauf herum . . .
ANDRÉ!
Höre, André:
Höre das stille Efeu, das Welken der Blumen, das Vergilben der Kränze, das Rascheln der Schleifen . . . im Sternenwind
André
Totentand!
Nichts als Totentand!
Aber Wir, wir beide Magda, du und ich
Leben wir denn nicht?
Ferne Detonationen!
Was ist das?
Da liegt was in der Luft?
Sie
packt ihn, Einschläge kommen näher:
Hörst du die von Bomben Zerrissenen, im Rauch Erstickten, im Feuer Verkohlten, im Wasser Verschwundenen?
Hörst du sie, nein?
-
Dann höre dies hier, André:
Höre die verhallten Trauerreden, verhallt auch die englischen Salutschüsse zu Ehren der Opfer . . . auf dem Bauch der gekenterten, auf die Seite gekippten Arkona.
Alles verhallt, André!
Verhallt auch das Nie Wieder:
NIEDER MIT DEM NIEWIEDER !
Nimmt sein Gesicht in ihre Hände
LEBEN, LIEBEN . . . ja wir, wir sind noch mal davon gekommen, aber wie lange noch . . . in diesen Tagen, in denen der Tod sich mit dem Zufall verlobt!
André
Zufall, ja!
Mehr nicht, mehr war das letztlich nicht, das mit der Cap Arkona.
Ein blöder Zufall!
Magda
Blöd?
Blöde Zufalle gibt es nicht. Zufälle sind intelligente Mächte, schlaue Bastarde, finstere Dämonen im Zwielicht von Theorie und Technik.
Chor
schwenkt eine Rotkreuzfahne
IM ZUFALL FÄLLT DIE ZEIT!
Erster Chorist
Ja, ich weiß Bescheid:
Ich weiß von den Häftlingen an Bord der Cap Arkona, im Fadenkreuz der Royal Air Force.
Zweiter Chorist
legt seinen Arm auf die Schulter des ersten:
Wir sind jene beiden Offiziere des schwedischen Roten Kreuzes, die mit ihrer Meldung für die Royal Air Force zu spät kommen:
ACHTUNG, ACHTUNG, EINE FALSCHMELDUNG:
Auf den Schiffen in der Lübecker Bucht befindet sich keineswegs die faschistische Führung auf der Flucht nach Norwegen!
Erster Chorist
Auf den Schiffen in der Lübecker Bucht warten KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene auf ihre Befreiung! Auf Euch, die Piloten der Freiheit!
DREHT AB!
KEHRT UM!
FLIEGT EURE BRANDBOMBEN NACH HAUSE!
Dritter Chorist
Die Meldung meiner Kollegen kam leider zu spät, blieb unglücklicher Weise irgendwo im Netz der Nachrichten der Engländer hängen. Jemand hat sie verschlampt. Irgendein Schlendrian hatte seine Hand im Spiel
Sie
ihren Arm um Andrés Hals gelegt, zeigt, starrt vor sich auf den Boden:
Hier, LIES!
Lies den Gedenkstein!
Er
von Magda in die Knie gezwungen
HIER /HABEN / DIE OPFER DER CAP ARKONA / IHRE LETZTE RUHE / GEFUNDEN!
Die Choristen
stürmen mit KZ-Käppis in den Kreuzwald, reißen sich einzelne Kreuze raus und schlagen damit auf André ein:
RUHE?
RUHE? RUHE? RUHE?
NIEMALS!
NIEMALS RUHE!
HIER UND HIER UND HIER DA HAST DU DEINE RUHE!
Magda wirft sich dazwischen, treibt sie unter das Strandcafégerümpel:
Sie haben ja Recht!
Als ob ich’s nicht gewusst hätte.
Alleine hätte ich kommen müssen, ohne dich
Aber dann liefst du mir vorhin über den Weg und ich vergaß, dass ich alleine zu ihnen kommen muss.
Geh schon, André!
GEH!
Nach einer Weile, formt sie ihre Hände zu einer Flüstertüte
Ich weiß ja, Ihr seid alle da.
Seid hier irgendwo, um mich herum.
So kommt doch, kommt doch her zu mir.
Sprecht mit mir. . .
Oh, Ihr meine Tauben, meine Täubchen, meine Brieftäubchen
Singt, einen ihrer Stöckelschuhe in ausgestreckter Hand
Kommt ein Vogel geflogen
Lässt sich nieder auf mein‘ Schuh!
André
abseits
Deutschen Raubvögeln zum Fraß
Hängen geblieben in britischen Krallen
Katastrophaler Kollateralschaden, tödlicher Zufall, tragisches Unglück . . .
Magda
Das sagst Du so! Das sagen sie alle so. Und geben sich zufrieden damit.
Ich nicht!
Ich spreche mit ihnen, tröste sie.
Sie hören mich.
Mich, Magda Gajewski!
Lässt den Schuh fallen, zieht ihr Kleid hoch, bis übers Gesicht:
SEHT HER!
IHR KENNT MICH
ICH BIN, WIE IHR WART
NACKT UND ROSIG POCHT MIR DAS BLUT UNTER DER HAUT
UND WERDE DOCH, WAS IHR SEID
Schwankt, zieht sich das Kleid runter, sieht sich um, sucht André, humpelt ihm in die Arme:
Du bist schuld!
Sie antworten nicht, weil du da bist.
Sie trauen dir nicht über den Weg
Für dich sind sie tot, bleiben sie tot
Lacht irre
Tot ist tot ist tot ist tot
Da lachen ja die Hühner!
Zieht sich auch den anderen Schuh aus und hakt sich bei André unter
Freiheit für Alle!
Freiheit für die Toten der Cap Arkona!
Beide nach hinten in die See, während die drei Choristen wieder unter dem Strandcafégerümpel hervorkriechen und sich gegenseitig die Kittel abklopfen
Erster Chorist
Die hat was gegen uns!
Zweiter Chorist
Eine Meise hat sie.
Nicht mehr alle Tassen im Schrank.
Dritter Chorist:
Der Tod nur ein Gefängnis?
Das Leben nur ein Gefängnisurlaub?
Urlaub, Urlaub wird es nun bald?
Chor:
Da halten wir uns raus
Da mischen wir nicht mit
Wir heißen doch nicht Schmitt
Zeigen sich gegenseitig den Vogel, Magda mit André Arm in Arm schlendern an dem Strandcafégerümpel mit seinen Chronisten vorbei, um den Kreuzwald herum
Magda
Eigentlich bin ich ganz froh. Dass sie mir nie antworten. Was wäre, wenn sie frei kämen? Was täten sie, mit uns.
André
Mit dir!
Magda
Chaos, sage ich dir.
Chaos auf dem Waldfriedhof!
Die Chronisten schleichen um sie herum
Stell dir vor, es verwandelte sich auch nur ein einziges Kreuz in einen KZ-Häftling der Cap Arkona und käme auf uns zu . . . in Sträflingskleidung, mit schlotternden Knochen. Und stünde vor uns . . .
André
Vor dir!
Magda
Der wirft mich glatt ins Wasser, ins Feuer . . .
André
Rache ist süß!
Rache ist Blutwurst, sagten wir Kinder.
Magda
Nachkriegskinder, ja, die wissen mehr als wir.
Erster Chorist:
BEFEHL IST BEFEHL IST BEFEHL!
Zweiter Chorist
auf dem Gerümpel
KEIN HÄFTLING FÄLLT DEN FEINDEN LEBEND IN DIE HÄNDE!
Dritter Chorist
Töten, verbrennen, versenken werden wir sie
Unsere Feinde, die Fremden, das ganze Gesocks ein Klumpen aus Blut und Blei!
Alle Drei
auf dem Gerümpel
Da sind sie dann frei!
FREIER ALS FREI!
Dritter Chorist
Keiner kommt hier lebend raus!
Zweiter Chorist
So lachten wir sie aus.
Erster Chorist
Was für ein Witz!
Was für ein guter Witz!
Alle drei reißen sich ihre Perücken und Masken von den Glatzen!
Heute schlagen wir Euch tot
Morgen kräht kein Hahn nach Eurer Not
Sie verschwinden mit Gelächter, Magda klammert sich an André:
Magda
MEINE MUTTER !
MEINE MUTTER SCHRIE IM SCHLAF!
André
beide Hände vor den Ohren:
Warum schreist du so?
Magda
Weil du mich nicht verstehst!
André
schreit
Wer, wenn nicht ich?
Magda
Niemand, außer den Toten in ihrem Gefängnis!
Chronisten kommen zurück, fluchen, ziehen einen Holzkarren auf zwei knarrenden Rädern aus der See bis an den Kreuzwald, treten die Kreuze nieder, reißen sie raus, werfen sie auf den Karren
Erster Chronist
Kreuze im Arm:
Wohin mit solchen Strolchen?
Schleudert die Kreuze auf den Karren
Zweiter Chronist
mit zwei Kreuzen im Florett:
Die Engländer auf dem Vormarsch / die Deutschen auf dem Rückzug
Die SS auf der Flucht
Panik, Panik, heillose Panik im ganzen deutschen Land
Wirft beide Kreuze in hohem Bogen auf den Karren
Dritter Chronist
mit Kreuzen oben auf dem Karren, die er erst fallen lässt, dann wieder an sich nimmt, beschützend
Wir frieren im Hafen und sehen übers Wasser
Wir sehen ein großes Schiff auf der Reede
WIR SEHEN UNSER SCHIFF!
Wir kommen an Bord, wir sterben an Bord
Und werden täglich über Bord geworfen
Plötzlich anschwellender Flugzeuglärm, alle Drei verkriechen sich unter dem Karren
Chor:
Erkundungsflug der R A F !
Sie schieben den Karren geduckt zum Haufen des Gerümpels, kippen die Kreuze dazu verkriechen sich . . . Magda und André, vor den verkohlten Rumpf eines Ruderboots gespannt
Magda
Im Windschatten der großen, geschehen die kleinen Verbrechen!
Schießerei im Hintergrund!
Magda fällt in den Ruderbootrumpf zurück, reißt André mit, beider Arme und Beine ragen noch über die Bordwand hinaus
Am Morgen des 3. Mai 1945 lebe ich schon länger im Bauch meiner Mutter / Treiben wir mit Hunderten von halb erfrorenen Häftlingen in zwei offenen Lastkähnen im Frühnebel an der Arkona vorbei /Notsegel aus Stangen, Decken und Mänteln / Rudern wir mit Brettern, bloßen Händen . . . schwimmt Mutter die letzten Meter und watet mit mir an Land
Schießerei kommt näher
Das sind sie, schießwütige Schinder, Volkssturm . . . jagen uns zurück ins Wasser . . . Wer nicht ertrinkt, wird erschossen . . . Wer noch nicht erschossen
Chor:
STILLGESTANDEN!
ANGETRETEN ZUR KOLONNE!
Magda
Still stand meine Mutter mit mir
Durch das Kaisergehölz marschierten wir
Und blieben nicht liegen am Rand einer Straße, im Graben einer Chaussee
Wo wir weder erschossen, noch erschlagen oder per Genickschuss erledigt wurden
kriecht aus dem Ruderbootrumpf
Einhundert-siebzig-Leichen-zählten-die-Engländer-am-Morgen des 4. Mai: Am Strand-und-im-Kaisergehölz / zehn-im-Kurpark am Teich / drei-auf-dem-Schulhof / im Kaisergehölz . . .
Zieht André aus dem Bootsrumpf, streicht sich das Kleid glatt:
Gehen wir, Herr Herbst!
André
Na endlich!
Aber wohin?
Magda
Ins Hotel, wohin sonst?
André
Zimmer mit Seeblick?
Magda
Natürlich!
Besinnt sich, dreht sich um, befiehlt den drei Choristen:
AN DIE ARBEIT JUNGS!
Jetzt machen wir erst mal klar Schiff.
Alle Fünf räumen die Bühne leer, werfen das Gerümpel nach hinten, verschwinden in der See . . . ein zugezogenes Himmelbett rollt auf einer der beiden Schienenstränge(?) heran, steht still, fängt zu schaukeln an, es wehen die Vorhänge, es quietschen die Sprungfedern . . . bis Ruhe einkehrt und Magda hinter dem Himmelbett hervor kommt: nackt bis auf das rote Mini vor Scham und Brüsten, reißt sie den Vorhang des Himmelbetts vorne auf
Du weißt wohl nicht mehr, wie ‘s jetzt weitergeht, was?
André
Ich wüsste schon!
Wo warst du denn so lange?
Magda
Im Badezimmer, wo sonst.
André
Na dann guck mal raus aufs Wasser.
Magda
Was gibt’s da groß zu sehen?
André
Nun mach schon, sieh endlich aus dem Fenster!
Magda
Tu ich doch!
Und?
André
Wetter wie damals, im Mai.
Die Wolken hingen tief, am frühen Nachmittag, fünf Tage vor dem Frieden:
Vierzehn Uhr dreißig!
NUN MACH SCHON, MAGDA!
Weißt doch so gut Bescheid!
FLIEG, MEIN MAIKÄFERCHEN, FLIEG!
Magda reißt ihr Mini von oben bis unten auf, hat zwei rote Fetzen in Händen, breitet ihre Arme aus und flattert los, fliegt, ein Engel mit roten Engelsflügeln, um das Himmelbett herum
Chor
steigt hinten aus der See
Britische Jagdbomber im Anflug über der Lübecker Bucht / Schiffe in Flammen / ein Schiff geht unter, mit zweitausend fünfhundert Menschen an Bord / die englischen Piloten verschießen den Rest ihrer Brandbomben, bis auf die Sicherheitsreserve /
sie kreisen über der Bucht /
sie gehen in den Tiefflug /
sie zielen mit Bordwaffen auf die aus dem Schiffsbauch der Arkona heraus stürzenden Menschen
Erster Chorist
Wo sind die Rettungsboote?
Die Feuerwehrschläuche?
Schwimmwesten?
Zweiter Chorist
Schwimmwesten weggeschlossen!
Feuerwehrschläuche durchgeschnitten!
Rettungsboote leck geschlagen!
Dritter Chorist
Die SS hat an alles gedacht
Die SS hat vorgesorgt:
Himmlers Befehl ausgeführt!
Und der RAF die Arbeit abgenommen!
Magda, läuft und fliegt
Chor
Die großen, luxuriösen Festsäle:
Brandgassen für die Brandbomben
Die Niedergänge, Treppen und Zwischendecks:
Schornsteine, nichts als Schornsteine
Erster Chorist
Ich stürze über Bord / Ich stürze zwischen im Wasser treibende Planken und Köpfe von Menschen / Ich kämpfe mit einem Menschen um den Rettungsring
Wir kämpfen wie die Tiere / Wir gehen unter mit dem Rettungsring –
Ich komme wieder hoch
Zweiter Chorist:
Ich kann nicht schwimmen / Ich klammere mich an den Nächsten / Der Nächste ist ein toter Mann, ein SS-Mann in seiner Schwimmweste
Sie trägt uns beide
Magda, läuft und schwimmt
Dritter Chorist
Wir kentern mit der Cap Arkona, kippen auf die Seite / Hocken auf ihrem Bauch / Halb noch auf dem glühenden Eisen der Bordwand, halb schon im eiskalten Wasser der Ostsee
Der Chor
Jagdbomber im Sturzflug, im Tiefflug, fegen über die Lübecker Bucht / Bordkanonen zielen auf Köpfe im Wasser / keine Köpfe mehr da
Mienensuchboote, Küstenwachboote und ein U-Boot fliehen aus der Bucht
Magda rettet sich ins Himmelbett, André zieht den Vorhang zu.
STILLE, Sprungfedern
André
Komm, Magda, komm
Magda
Das hatten wir doch schon!
Erzähl mir lieber was, was Lustiges.
André springt aus dem Himmelbett, grüßt militärisch, in Unterhose
André
Ich heiße André Klostermann und war der Star der französischen Luftwaffe im Weltkrieg Nummer Eins
Und wurde am 14. Mai 1927 zum Stapellauf der Cap Arkona nach Hamburg eingeladen
Wo wir die Geburt der Cap Arkona, der Königin des Süd-Pazifik feierten
Wozu wir Uniformen, Smoking oder lange Kleider trugen
Und die Cap Arkona mit der Veuve Cliquot tauften
LANG LEBE DIE DEUTSCHE QUEEN MARY!
André, Heil Hitler grüßender Hampelmann!
Und im Weltkrieg Nummer Zwei, da war ich auch dabei
Da fegte ich einen britischen Jagdbomber über die Lübecker Bucht
Und klinkte meine Brandbomben über der Cap Arkona aus
Magda
Taufpate killt Täufling?
Lachst ja gar nicht!
Nun lach schon!
Dann eben nicht, aber hör mir mal zu:
Springt auf, steht stramm auf den Sprungfedern, HH-Gruß, mit den roten Fetzen in Händen
Gestatten?
Letzter Kapitän der Reichsdeutschen Cap Arkona!
Verantwortlich für mindestens 4 Tausend Häftlinge.
Singt
Wir hatten die Häftlinge, den Hunger, den Durst und den täglichen Tod an Bord.
Und mehr noch, immer mehr noch sollten an Bord:
Russen, Franzosen, Holländer, Polen
Männer, Frauen, Kinder aus aller deutschen Herren Länder
Nur über meine Leiche, sagte ich
Das verantworte ich nicht!
Da entsicherten die schwarzen Uniformen ihre Karabiner
Da wich ich der rohen Gewalt
Da bebte mein Schiff bis in den Rumpf / Erster Volltreffer / Zweiter Volltreffer
Da brach mein Schiff in Flammen aus, kämpften die Häftlingsmassen auf Leben und Tod, hatte ich meine Machete schon in der Hand, holte ich aus und
Schlug zu, schlug um mich
Schlachtete mir meinen Weg frei
WEG DA ! AUS DEM WEG DA !
WEG FREI! WEG FREI!
-
André
Verstehe!
Magda
Sieht dir ähnlich, was?
Er knallt ihre eine auf den Nackten!
Bist du verrückt geworden?
Handgemenge im Himmelbett
Chor
sieht ganz aus der Nähe zu
LEBEN LEBEN LEBEN WOLLEN WIR
NUR STERBEN STERBEN STERBEN NEIN DAS WOLL’N WIR NICHT
NUR RAUS DA RAUS DA AUS DER DER HÖLLE DA
TIEF UNTEN AUS DEM BAUCH DER ARKONA
Erster Chorist
Und klammern und klettern zu Hunderten auf zwei handbreiten Eisenleitern
Und zertreten uns die Hände auf eisernen Sprossen
Und stürzen zurück und reißen Andere mit
Magda, hat die Oberhand, kämpft weiter mit André
Zweiter Chorist
Siehe da, ein Mensch, ein halb schon verwüsteter Mensch, wie er es schafft und hoch aufs schräge Deck kriecht, wo er hin fällt, ausrutscht, in einen Haufen brennender, verknäulter an der Reling schreiender, verbrennender Menschen rutscht
Magda
Mein Rücken, mein Rücken, mein Rücken brennt
strampelt sich frei, trampelt auf André rum, fuchtelt mit den Armen in der Luft, greift nach der Firststange des Himmelbetts über sich
Hoch hier! HOCH! Und HOCH! UND
Hangelt an der Himmelbettstange
Chor
Seht nur, seht!
Den Menschenwurm, wie er sich windet in seiner Lebensangst
Hangelt sich weiter
Chor:
SEHT den Wicht. Wie er weiter und weiter . . .
HÖRT, wie sie schreien und brennen, die lebenden Fackeln.
RIECHT das schreiende Menschenfleisch, wie es über die brennenden Köpfe kriecht . . . und sich rettet . . . und sich rettet
Magda lässt die Firststange los, fällt neben das Himmelbett, bleibt liegen, André kriecht zu ihr, tröstet sie, zieht ein Feuerzeug aus seinem Slip, sucht nach Zigaretten, zündet einen Vorhang an . . . das Himmelbett fängt Feuer, rollt lodernd ab nach hinten in die See . . .
(wo sich die Choristen seiner annehmen, mit Feuerlöschern!)
Beide hocken halbnackt auf der leeren Bühne, zwischen den Bohlen
André
So!
Das hätten wir hinter uns!
Magda
Du vielleicht, ich nicht.
Als Fremdenführerin habe ich es heute noch mit Kurgästen zu tun, die sich über gewisse schwarze Flecken beschweren.
Letzte Spuren der Klumpatsche!
André
Der was?
Magda
Klumpatsch, ortsüblicher Ausdruck für jenes Amalgam aus Arkonaleichen und Sand und Salz und
André
Verstehe, endlich.
Magda
Was, was verstehst du, endlich?
André
Den flüchtigen Ekel in den Gesichtern meiner Eltern, in den ersten Jahren nach dem Krieg. Wenn wir Aal aßen.
Freitags Fisch!
Diese Aale gleich nach dem Krieg, wie billig und fett sie waren.
Die Fischer machten Witze.
Magda
Hast du auch, Aal gegessen?
André
Kopflos, in Portionen geschnitten, in Mehl gelegt und gewendet, sprangen die Viecher immer noch aus der Pfanne.
Magda
Hast du nun Aal gegessen oder nicht?
André
Wer hat das nicht?
Haben wir doch schon mal.
Du doch auch!
Magda
schlägt nach ihm
Natürlich, habe ich Aal gegessen.
Aber ich weiß heute wenigstens, was ich gegessen habe.
André
Was denn?
Magda
NAHRUNGSKETTE, sage ich nur.
Die Aale fressen die Häftlinge, wir fraßen die Aale . . .
André
Magda!
Magda
Placenta! Placenta!
André
Schon gut, Magda!
Aber wo wir nun bei dieser Nahrungsketten sind, vergessen wir doch, bitteschön, die Henker nicht
Die Aale werden ich doch nicht nur an Opfer gehalten haben
Aale fressen alles!
Ganz wie die Schweine, die Hühner und . . .
Magda
Wir, die Menschen!
Aber wir, wir wissen doch wenigstens, was wir essen
André
Das ist der feine Unterschied!
Singt
Püppchen, du bist mein Augenstern
Püppchen, ich hab dich zum Fressen gern.
-
Und jetzt, wohin jetzt?
Zu dir?
Magda
Nein, in die Ostsee.
Schwimmen!
André
Ach, lieber nicht!
Magda
Warum denn?
André
Weil ich hier weg will, wir reißen ab.
Zum Bahnhof!
Magda
Auch gut!
Los, hauen wir ab hier!
Stolpert über eine Bohle, stürzt hin, blutet, ruft:
UNSER ZUG UNSER ZUG
WO IST UNSER ZUG?
Flüstertüte
BAHNHOFSVORSTEHER!
Wo ist der Bahnhofsvorsteher?
CHEF!
Wo ist deine Trillerpfeife?
Und deine rote Mütze, Chef!
Und deine schöne Kelle mit dem Licht, dem roten und dem grünen Licht?
ABFAHRT, André!
ABFAHRT!
Sitzt halb aufgerichtet wie ein Meermädchen, streift sich die Stöckelschuhe von den Hacken und hämmert damit auf die Schiene:
PING PINNNG PING PINNNG
PING PING PING PING PING :
Singt/schreit:
Nach HAUSE! NACH HAUSE
WOLLEN WIR!
RAUS HIER, NUR RAUS HIER
WOLLEN WIR
Stakatto-Ping-Ping auf den Schienen, mit den Hacken beider Schuhe nun auch auf die Bohlen
POUNG POUNG POUNG
Wo sind sie, die Waggons für das VIEH?
Für das VIEH, das wir sind für SIE!
Hämmert auf das Eisen der Schienen, auf das Holz der Bohlen
Wir nahmen den Bahnhof im Sturm
Wir suchten die Freiheit und fanden die Gitter . . .
Springt von Bohle zu Bohle, balanciert auf den Schienen
SCHIENEN FREI!
SCHIENEN FREI!
Leiser
FAHREN! FAHREN!
Noch leiser
IN DIE FREIHEIT FAHREN . . .
André
Wohin? Wohin?
Magda
Wohin du willst!
Nur ins Freie, ins Freie
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